Konzept

MIMESIS EXPANDED – Die Ausweitung der mimetischen Zone

Wer nachahmt, läuft Gefahr, mit der Nachahmung das Sein davonzutragen, gab kein Geringerer als Platon zu bedenken. Statt Mimesis poetologisch auf eine Darstellungsweise festzulegen, deren Theorie auf die Poetik des Aristoteles zurückgeht und eine vielfältig gebrochene Nachwirkung in der Renaissance und der Neuzeit verzeichnet, soll sie als eine ‚gefährliche‘ Existenzweise verstanden werden. Die damit vollzogene Ausweitung der Wirksamkeit von Nachahmungsprozessen auf unterschiedliche kulturelle und soziale Prozesse will die Konferenz auf historischer, epistemischer und medialer Ebene untersuchen. Lebensweltliche und metamorphotische Funktionen von Nachahmungsprozessen gewinnen deshalb besonders an Bedeutung. Mimesis adressiert Fragen der Kommunikation, der Übertragung und der Gemeinschaftsstiftung, die quer zu sozialen Trennungen und Ausdifferenzierungen liegen.

Dieser Befund provoziert in der Theoriebildung Reflexe und Konzepte, die von der Furcht vor defigurierenden und exzessiven Potenzialen mimetischer Praktiken, aber auch von ihrer Faszination zeugen. Furcht wie Faszination sind dadurch motiviert, dass der Nachahmende sich den nachgeahmten Objekten und Phänomenen bis zur Verwechselung angleicht und damit die ontologischen Grenzziehungen zwischen Personen, Dingen und Zeichen verwischt. Nach der Diskreditierung der Nachahmung im Zeichen einer Originalitäts- und Schöpfungsästhetik, die sich um 1800 durchsetzt, entstehen wissenschaftliche Entwürfe des Sozialen und des Lebens (Gabriel Tarde), die Nachahmung und ‚Mimese‘ als eine ent-hierarchisierende Strukturlogik in den Blick nehmen. Diese Entwürfe beziehen den Exzess einer mimetischen Angleichung auf die Distributions- und Appropriationsdyamiken medialer Ereignisse, auf Meme (Limor Shifman) sowie auf die Vorstellung eines Aufgehens in der Natur (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer) oder einer „Versuchung durch den Raum“ (Roger Caillois).

Damit schließt die eingenommene Perspektive Mimesis an die modernen künstlerischen wie medialen Reproduktionsformen eines serialisierten Sozialen an und fasst dieses in Kategorien von Übertragung, Transfer, Verbreitung oder Ansteckung. Seit ihrer ersten Theoretisierung in der Philosophie ist Mimesis auf Fragen des Bildes, der Abbildlogik und den Formen des Trugbildes bezogen. Die Konferenz bezieht diese Problematik auf die zeitgenössischen (digitalen) bildgebenden und -distributiven Techniken, die die stabile Unterscheidung von Original und Kopie, Innen und Außen, Organismus und Milieu, System und Umwelt erschüttern.

MIMESIS EXPANDED widmet sich daher folgenden Fragen: Wie verläuft der Prozess einer poetologischen und ästhetischen ‚Zähmung‘ der Mimesis seit ihrer antiken Theoretisierung und ist er für ihre weitere Entwicklung in den zahlreichen Wiederaufnahmen einer ‚Nachahmung der Natur‘ alternativenlos? Wie kommt es nach der Verkündigung eines ‚Endes der Mimesis‘ um 1800 zu den vielfältigen Formen ihrer Revitalisierung und welche kulturellen und medialen Veränderungen sind für die neue Karriere der Mimesis entscheidend? In welchen historischen, medialen und wissensgeschichtlichen Kontexten kann Nachahmung als ein Vorgang ungesteuerter Verbreitung und Multiplikation wahrgenommen werden? Welchen Stellenwert haben bei den Überlegungen zu einer expansiven Mimesis und den aktuellen Praktiken des Sekundären Theorien globaler Vernetzung oder digitaler Infrastrukturen? Worin besteht der Zusammenhang zwischen mimetischen Verfahren und Erfahrungen der kulturellen und sozialen Alterität?